Letzte Woche musste ich zu einem Termin in Düsseldorf. Bei dem allgemeinen Verkehrschaos, dass ich aus dem Rhein-Main Gebiet zu genüge kenne, habe ich es vorgezogen mit der Bahn zu fahren, was ich generell ganz gerne tue, denn wenn der Zug tatsächlich kommt, irgendwann, dann empfinde ich es als sehr entspannend, mich mit einem guten Buch und einem lecker Kaffee ein bis drei Stunden chauffieren zu lassen.

Nachdem ich um 5 Uhr Morgens aufgestanden war, mich eine Stunde lang bemüht habe wie acht Uhr Morgens auszusehen, ging es los zur Zwischenstation Mainz. Schnell einen Schrottochino vom Starbucks geholt, ging es dann auch gleich weiter mit dem ICE. Da ich Sparfuchs keinen Platz reserviert hatte, entschloss ich mich den ersten freien zu wählen, neben einer hübschen Blondine in den Zwanzigern, die sich platzsparend mit Ihrem Handy am Fenster eingeigelt hatte.

20190110_162309

Meinen dicken Daunenmantel drapierte ich auf meinem Schoß, die perfekte Ablage für mein wunderbares Buch von Tom Rachmann (Die Gesichter) und so konnte der Lesegenuß losgehen. Wäre da nicht meine Nachbarin gewesen, die sich schnell als anstrengend herausstellte. Nicht, dass sie auch nur einen Ton von sich gegeben hätte, oder auch nur ein das geringste Geräusch aus ihren IN-EAR-Kopfhörern gedrungen sei, nein, sie war nur pausenlos in Bewegung und das auf engstem Raum.

Alle 60 Sekunden checkte sie ihr Handy: raus aus der Glitzerhülle, TipTip, rein in die Glitzerhülle und neben sich gelegt. Das lenkte für die nächsten 10 Minuten schon vom Buch ab, aber letztlich gewöhnte ich mich daran, wäre da nicht Bewegung zwei hinzugekommen. Runter zum Rucksack zwischen Ihren Beinen, Ratsch, Reißverschluss auf, Thermobecher (sehr löblich) raus, Schluck trinken, Thermobecher in Rucksack, Ratsch, Reißverschluss zu. Nach der zweiten Wiederholung dachte ich nur:

Du dappige Kuh, wieso stellt Du den Becher nicht einfach auf das Tabletttischchen?

Aber da hatte ich die Rechnung ohne die ständig ihre Haare glattstreichende Blondine gemacht. Denn nach der nächsten Runde Handycheck (Glitzerhülle raus, TipTip, Glitzerhülle rein), kam noch eine bisschen mehr Bewegung in die Nummer. Denn neben Thermobecher gab es da noch die Thermoflasche. Ratsch, Rucksack auf, Trinken, verstauen, Ratsch, Rucksack zu. Zum Glück war meine Lektüre wirklich sehr interessant, so dass ich mich dennoch weiterhin daran erfreuen konnte, bis, eine neue Bewegung, diesmal mit Sound hinzukam.

Aus dem Ratsch, Rucksack, wurde nun noch Tupperware hervorgezogen, geöffnet und oh Schreck, die enthielt rohe Karotten. Die hübsche Blondine konnte mit ihren ins Hirn gefrästen IN-EAR-Kopfhörern den infernalischen Lärm der knackigen Karotten nicht hören. Bevor ich mich allerdings erheben wollte, um einen anderen Platz, am anderen Ende des Zuges zu suchen, wurde die Rohkost Tupperware – Ratsch, Rucksack auf, Tupperware quadratisch rein, Tupperware rund raus, Ratsch, Rucksack zu – durch einen angenehm leisen Quark ersetzt. Schon besser. Als der Quark sich dem Ende zuneigte und zwischenzeitlich noch gefühlte zehn mal die Glitzerhülle zum Einsatz kam, wurden die letzten Reste akribisch herausgekratzt. Spätestens jetzt überlegte ich ernsthaft, ihr das Tabletttischchen um die verstöpselten Ohren zu hauen, aber nach dem letzten Verstauen, Ratsch, machte sie sich in Koblenz ans Aussteigen. Welche Erleichterung. Endlich konnte ich die letzten anderthalb Stunden in vollen Zügen meinem Buch widmen.

Nach dem erfolgreichen Termin in Düsseldorf, der angenehmerweise gleich ums Eck der Kö war, schlenderte ich noch mit sehnsuchtsvollen Augen über die Prachtstraße, weil ich ja nun derzeit den #nixneuesjanuar lebe und mir selbst absoluten Kaufstopp verordnet habe. Also am besten gleich zurück zum Bahnhof und das WLAN von Starbucks genutzt, um die liebe Instagemeinde mit Kommentaren und Bildern zu versorgen.

Derart positiv gestimmt, weil ich den Feedback von Instagram wirklich sehr schätze, nahm ich mit nur fünf Minuten Verspätung, die Bahn meinte es wirklich gut mit mir, die Rückreise auf. Gleiches Spiel wie am Morgen: Platz suchen, da keine Reservierung. Ein wunderbarer Fensterplatz bot sich mir, wo ich es mir mit Daunenmantel und Buch bequem gemacht habe. Kurz darauf setzte sich eine hübsche dunkelhaarige Mittzwanzigerin neben mich und – welch Überraschung – checkte ihr Handy. TipTip, Handy in linker Jackentasche mit Reißverschluss verstauen. Dann Ratsch, rechte Manteltasche öffnen, ein weiteres Handy hervorziehen, checken, TipTip, zurück in die Jacke, Ratsch, zu.

Diesmal war ich schon beim Aufklappen Tabletttischchens, um es ihr sofort über die Rübe zu ziehen, als sie aus ihrem Rucksack zwischen den Beinen ein BUCH hervorzog. Meine Begeisterung kannte keine Grenzen, als sie die erste Seite aufschlug und begann zu lesen. Der Frieden war von kurzer Dauer, denn ein Blick aus meinem Augenwinkel zeigte mir, dass sie gar nicht las, sondern mit den Augen auf die Decke gerichtet, nachdachte. Entweder war das Buch schon nach den ersten zwei Sätzen ein philosophisches Sinnieren wert, oder sie überlegte an einem teuflischen Plan, mich in den Irrsinn zu treiben. Egal, erstmal Ratsch, rechte Tasche auf, Handy Check, TipTip, Handy rein, Ratsch Tasche zu und – na klar – die gleiche Nummer links. Kurz danach näherte sich eine Bahnangestellte und wollte die Fahrtausweise prüfen. Es stellte sich, in einer langwierigen Diskussion heraus, dass meine Nachbarin ein RyanAir Ticket hatte, dachte, das würde den Nahverkehr nach Frankfurt-Hahn enthalten und sie offenbar für Ihre Firma unterwegs war. Natürlich enthielt das Ticket nicht den Bahnpreis. Welche Firma würde auch auf die Idee kommen eine Mitarbeiterin aus Düsseldorf nach Hahn (nähe Frankfurt) zu schicken, um von dort aus zu fliegen. Hallooooooooo?????????????

Jedenfalls musste sie ein Ticket im Zug kaufen und die Bahnangestellte tippte (**grrrrrrr) fleissig auf Ihrem Gerät, um den Preis zu ermitteln. Währenddessen – und das ist ganz ehrlich wahr – zog meine Nachbarin (diesmal zumindest ohne Ratsch) 30 Euro aus der rechten Seite ihres BHs. Das lass ich jetzt mal so stehen. Die Bahnmitarbeiterin kam auf einen zusätzlichen Fahrpreis von 42,50 EUR, so dass meine Nachbarin – ich schwöre – weitere Geldscheine aus ihrer linken BH-Seite kramte. Wohin sie das Wechselgeld gesteckt hat, weiß ich nicht, denn dann musste ich mein eigenes Ticket zeigen musste. Nach einem weiteren beidseitigen Handycheck musste sie jedenfalls in Koblenz aussteigen und endlich hatten Tom und ich wieder Ruhe.

20190110_162207

Ich hab im Laufe meines Lebens ja schon viele Deppen in Zügen getroffen. Am liebsten sind mir immer die Dauertelefonierer, die möchten, dass jeder Anwesende spürt, wie wichtig sie sind. Aber diese beiden Mädels haben mich darüber grübeln lassen wie lange die Aufmerksamkeitsspanne der Mitte-Zwanzig Generation denn wohl ist. Keine von Beiden konnte sich auch nur für zehn Minuten zurücklehnen und bei einer Sache bleiben. Beide haben wie wild ihr Handy studiert, wobei das bei einer Zugfahrt durch weitgehend unterentwickelten Netztausbau müßig ist. Nicht zum ersten Mal dachte ich, dass ich froh bin, kein Digital Nativ zu sein, sondern einfach auch mal zwei bis sechs Stunden mit einem Buch zubringen kann, eben genau so lange, bis auch ich nicht mehr sitzen kann, weil mir mein Allerwertester einschläft.

In diesem Sinne wünsche ich Euch Konzentration, Sitzfleisch und immer ein gutes Buch, wie zum Beispiel „Olga“ zur Hand.

20190110_164324

Outfit:

Kleid – VanLaak

Schal – Manufaktum

Tasche – Pinko

4 replies on “Skuril, oder Wenn Nikileaks eine Reise tut…

Schreibe einen Kommentar zu Nicole Kirchdorfer Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert