…96 Jahre später landet alles in Tüten…

Heute war ich in der Wohnung meiner Oma, die wir bis Ende des Monats ausräumen müssen, da sie ins Heim gekommen ist.

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Bei strahlendem Sonnenschein, bester Dinge, sportlich gestiefelt ging es los…mit Vollsperrung, 80er Jahrehits im Radio und ganz und gar klarem Kopf zu Ende.

Glanzvoll gesammelt

Meine Oma hat ihr Leben lang eine wahre Puppenstube um sich herum zusammen gesammelt. Seit ihrer frühesten Jugend hat sie Porzellan von ihrem Ersparten gekauft und echte Werte angehäuft. Nicht, dass sie davon gegessen oder daraus getrunken, oder Gäste zum Bestaunen eingelassen hätte. Nein, nur für sich. Nur zum ansehen.

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Sie hat mir immer viel von ihrer Jugend erzählt, in der sie es trotz Krieg und Wiederaufbau wohl ordentlich hat krachen lassen. Immerhin war sie sogar zwei mal verheiratet, aber dennoch war sie zum Schluss ganz alleine in Ihrer Puppenstube und musste allen Tinnef pausenlos abstauben. Und jetzt ist er nichts mehr wert. Gar nichts. Hier und da wurden uns von den Menschen, die auf die Anzeige „Haushaltsauflösung“ reagiert hatten, 10 Euro für ihre echten Kristallflaschen oder Silberrahmen geboten, aber das haben wir dann doch nicht über uns gebracht. Und lieber 7 überdimensionale Mülltüten weggeworfen.

Erinnerungsstücke

Meine Mutter wollte, dass ich mir etwas aussuche. Als bekennender Fan von Horst Lichter’s „Bares für Rares“ gefällt mir einiges in der Wohnung. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich es in unserer Wohnung aufstellen würde. Mit Mühe und Not habe ich mich für eine große Kaffeetasse und einen Aschenbecher (ja….ich rauche….irgendein Laster muss man doch haben) entschieden.

Im Sommer werde ich auf dem Balkon meinen geliebten Milchkaffee und ein Kippchen mit Stil genießen und mich immer an meine Oma erinnern, die mich noch mit einpaarundsiebzig in meiner damaligen Dachgeschosswohnung im 5. Stock Altbau besucht hat. Da haben wir gemeinsam geraucht. Drinnen. Das war in den 80ern noch normal. Als vollendete Dame rauchte sie natürlich stilvolle Slim Lines. Und zu dem Zeitpunkt bis ins hohe Alter war sie super gepflegt, eitel und voll durchgestylt.

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Mit 90+ ging es so langsam dahin. Die Schwerhörigkeit wurde zur Taubheit, Klamotten waren egal, die Zähne muss man auch nicht täglich tragen und die Vergangenheit wird zum einzigen Thema. Nicht, dass sie nicht klar im Kopf gewesen wäre. Das bewiesen Ihre Briefe, die wir uns jahrelang geschrieben haben, weil das telefonieren mich nach einer halben Stunde lauthals Schreien, mit wunder Kehle zurück ließ.

Und ja, selbstverständlich habe ich auch noch die uralte Schreibmaschine mitgenommen. Die, für die es seit Jahren keine Farbbänder mehr gibt, weshalb meine Oma mir ein Löschblatt verwenden musste. Mal sehen, ob ich noch eines auftreiben kann und mal sehen, ob ich dann jemals damit schreibe, oder aus unserer Korrespondenz doch irgendwann ein Buch mache. Mal sehen. Ich habe ja noch Zeit.

Und eines weiß ich genau. Ich werde nicht so einsam werden. Ich werde nicht Dinge anhäufen und darüber zu leben vergessen. Es hat nicht den heutigen Tag gebraucht, um mir dessen sicher zu sein, aber er hat mich einmal mehr bestärkt.

Es gäbe noch tausend traurige Kleinigkeiten zu erzählen, aber so gut kennen wir uns noch nicht 😉

Und immerhin haben wir der alten Dame aus dem „Parterre“, die gelegentlich die heiligen Hallen meiner Oma betreten durfte, große Freude mit tausenden rosa Dekoartikeln, künstlichen Blumen und Weihnachtsschmuck machen können. Ihre Dankbarkeit war rührend und die frischen Aachener Printen sind ein anerkanntes Zahlungsmittel in NRW.

Dahoam is Dahoam

Als ich mich endlich auf den Rückweg machte und ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich nach Hause gesehnt habe, befand ich mich von jetzt auf gleich im Stau. Man glaubt es kaum, aber die Rettungsgasse hat tatsächlich funktioniert und an uns Wartenden fuhren gefühlte 10 Feuerwehren und Krankenwagen in ohrenbetäubendem Lärm und Affenzahn vorüber.

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Eine Viertelstunde ging gar nichts und während ich zugegeben laut bei Michael Jackson, Dire Straits und ACDC mitgesungen habe – falscher als falsch – dachte ich an die Menschen da vorne, die vielleicht ihr Leben verloren haben…war dann aber zum Glück nur eine normale Massenkarambolage. Vermutlich bescheuerte Raser, für die ein Tempolimit von 120 KmH ein Grund zum auswandern wäre.

Liebe Politik: wie wäre es mit weniger Lobby und mehr Sicherheit und Gelassenheit. Andere Länder machen es vor und man staune: es funktioniert. Und PS: Reisende soll man nicht aufhalten…

Schlussendlich kam ich um Zehn nach Hause. Ein Blick ans Büdchen und ich wusste worauf ich mich freuen kann. Mein Mann und Menschen mit dem Herz am rechten Fleck, die sich wie Bolle freuen mich zu sehen…Frauen sind Mangelware am Büdchen…und ein lecker Alt! So langsam werde ich Düsseldorferin.

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Nicht nur, dass ich wie immer von vorne bis hinten hofiert wurde, nein, ich habe wie immer nette Gespräche über die Alltäglichkeiten des Lebens geführt, konnte loslassen und diesen schwarzen Tag abschütteln. Und als mir kalt wurde, weil immer noch kein Heizpilz weit und breit ist, hab ich noch einen heißen Glühwein mit Schuss bekommen. Ich bin aber auch einfach zu halten 😉

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Und das schönste: gleich gegenüber sind wir daheim. Da gibt es nicht viel Tineff, aber auch ohne, dass wir bislang die Heizung hätten anmachen müssen (dank moderner Isolierung) viel Wärme. Und darauf kommt es doch an.

Das Wort zum Sonntag Ende.

20 replies on “Ein ganzes Leben…

  1. Hat mich sehr berührt, dieser Beitrag und die anderen auch. Pflege in Deutschland ist ein Desaster, einfach weil dafür kein Geld verwendet wird. Als alter Mensch bringt man ja nichts mehr ein, sondern kostet nur noch. Von der Leine gelassener Kapitalismus…..

  2. Das erinnert mich, als wir die Wohnung meiner Eltern ausräumen mussten. So viel gesammelt, und irgendwie ist alles auf einmal nichts wird. Ich hab mir allerdings ein bisschen mehr genommen als nur einen Aschenbecher. Mir bricht das Herz, wenn ich diese schätze auf deinem Blog sehe. Das war mal ein Vermögen wert… (Die Etagere und das kristallin existiert auch nicht mehr oder? Ich würde es nehmen…)

    1. Hi Katrin, weiß nicht genau was Du mit Kristallin meinst, aber ich kann Dir gerne mal ein paar Bilder schicken von dem, was noch da ist. Eine ganze Menge schönes Porzellan, Kristall Karaffen usw….
      Wenn Du an so etwas Interesse hast, dann schreib mir mal ne WhatsApp: 01741731766 und ich sende Dir Fotos…..
      LG Nicole

  3. Ich kann mir vorstellen, wie schlimm das war. Deine Oma liebte ihre Sachen heiß und innig, und für andere Menschen ist es einfach nichts wert. Einfach nur Dinge. Ich bin jeden Tag dankbar, meine Familie um mich zu haben.

    Liebe Grüße Sabine

    1. Hi Sabine, danke für Deinen Kommentar.
      Ja. Ist wirklich frustrierend und sehr traurig. Aber die Menschen und ich glaube es ist wirklich eine deutsche Spezialität, sind auch schlimme Sparfüchse. Echtes fremdschämen gestern, wenn sie einem Meißner Porzellan für 10 Euro aus dem Kreuz leiern wollen. Manchen Menschen ist echt nichts peinlich. Das hat mich auch wütend gemacht.
      All das hilft aber meiner Omi nix mehr und zum Glück bekommt sie es nicht mit, sonst würde sie ausflippen…
      Hab einen schönen Sonntag.
      Liebe Grüße, Nicole

  4. so eine liebevolle betrachtung für ein ganzes leben.
    ich weiss genau, wie es war in deinem auto auf dem weg zurück. ich weiss, wie beklemmend das gefühl in ihrer wohnung war und der drang einfach alles zu lassen… und ich weiss, wie du dich mit deinen erinnerungsstücken fühlst.
    ich kann gut nachvollziehen, dass ihr die sachen nicht „so“ weggeben habt. das habe ich bei meiner omi auch nicht übers herz gebracht…
    ich wünsche dir kraft und stärke, vor allem aber mut des loslassen und die liebe im herzen zu behalten…

    1. Ach wie süß von Dir! Das schöne am Bloggen oder Instagramen ist, dass man mit wildfremden Menschen auf so nette Art und Weise kommunizieren kann. Herzlichen Dank für Deine Worte.
      LG aus Düsseldorf,
      Nicole

  5. Ein sehr schöner Beitrag, so ging es mir auch als meine Oma ins Heim kam. Deine Oma hat Geschmack, das Zwiebelmustergeschirr habe ich auch! Wenn davon nicht alles im Container gelandet ist würde ich mich freuen😘LG und einen schönen Sonntag Manu

    1. Liebe Manu, danke für Deinen Kommentar. Tatsächlich ist vom Zwiebelmuster (ungefähr 1000-teilig) eigentlich noch alles da. Schreib mir gerne eine WhatsApp (01741731766) oder Deine Mail, dann schicke ich Dir die Fotos. Oder sag mir, was genau Du gerne hättest. Im Grunde hat sie von Uhr über Brotbretter, Schüsseln, Terrinen, Kaffee- und Milchkännchen in allen Größen, Kerzenständer, Saucieren, Butterdose, Zigarettendose usw. einfach alles……Sag Bescheid.
      Liebe Grüße,
      Nicole

      1. Hallo Nicole, wie schön! Ich schau morgen meinen Bestand durch und melde mich. Teller, Schüsseln und Kerzenständer wären auf jeden Fall toll. Liebe Grüße Manu

  6. Meine eine Großmutter hat auch Zeit ihres Lebens so viel Kram angehäuft …Sachen für die Ewigkeit.

    Meine Mutter wollte zu Lebzeiten etwas davon haben als Tochter z.B. eine (nicht wertvolle) bestimmte Vase, die meiner Großmutter an sich egal gewesen ist; aber sobald meine Mutter Interesse an etwas von all den zig Sachen gezeigt hat, wurde die Hand draufgehalten. Mit der Tochter wurde alles spitz abgerechnet, obwohl meine Mutter ihren Eltern viel geschenkt hat, von sich aus und ohne dabei zu rechnen.

    Deshalb wollte meine Mutter – verständlicherweise- nach dem Tod ihrer Mutter so gut wie nichts mehr davon. Das meiste wurde weggeworfen. Welche Sinnlosigkeit.

    In einem Lied von Subway To Sally heißt es: „Du nimmst nichts mit.“, und das ist wahr.

    1. Hi liebe itayiriki, über gespaltene Verhältnisse zwischen Müttern und Töchtern brauchst du mir echt nichts zu erzählen. Davon kann ich Arien singen. Ich sage mal: meine Mutter hat beim Bedienen weniger Skrupel….Schade finde ich, dass sich die miese Geschichte wiederholt…aber ich bin in meinem Blog nicht ganz so offen wie Du…
      Hab mal ein bisschen bei Dir gestöbert. Klasse!
      Hab nen schönen Sonntag, LG Nicole

      1. Dann kennst du das ja (leider auch) mit diesen „speziellen schwierigen Mütter-Tochter-Verhältnissen. (Zum Glück ist das zwischen mir und meiner Mutter nicht so; wir haben ein gutes Verhältnis.)

        Ob diese „Sammelwut“ aus der Generation deiner Mutter auch zum Teil etwas mit den Entbehrungen während des Krieges zu tun haben? … Also natürlich auch mit dem jeweiligen Charakter; es sind ja nicht alle so aus der Generation, ganz im Gegenteil.

        Es freut mich, dass dir mein Blog gefällt. Danke, das bedeutet mir etwas. … So offen zu schreiben ist immer ein bisschen zwiespältig für mich. Ich weiß auch nicht, ob ich das so beibehalte.

        Dir auch ein schönes restliches Wochenende! 🙂

  7. Liebe Nicole,

    Ich bin total begeistert, nicht nur von deinem Blog auch von den netten Kommentaren 🥰🥰 hab sie alle gelesen und musste so schmunzeln. Es geht es und doch allen ähnlich 😁 und ich hätte meehr mitgenommen…. hast du vielleicht noch schöne Vasen die ich bemalen kann ? Oder Glaslampenschirme?

    Bin offen für einiges 😉

    Liebe Grüße
    Ela

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