… ich weiß schon gar nicht mehr, wie lange ich bereits im Homeoffice bin. Gefühlt: ewig. Wie es läuft? An sich gut, aber irgendwie fängt es auch mich an zu nerven.

In unserem Geschäft reden wir von den 3 Phasen der Pandemie Bewältigung.  Vor, während und nach der Pandemie. Da es unsere europäischen Filialen sehr unterschiedlich getroffen hat, befindet sich die Hälfte noch in der aktiven Bekämpfung, während wir in Deutschland in die Stabilisierung kommen und nun Pläne und Aktionen für die kommenden Wochen und Monate schmieden, um zur Normalität und Expansion zurückzukehren.

Ich selbst durchlaufe ganz offensichtlich auch 3 Phasen. Die erste war dezent panisch einerseits, andererseits äußerst kreativ, denn die erste Entschleunigung hat mir persönlich extrem gut getan und meinen Geist für die Details meiner Umgebung und meiner eigenen Gedanken geöffnet.

Die zweite Phase war geprägt durch eine gewisse Einsicht in Sachen Pandemie und geringerer Panik plus maximaler Aktivität. Bestes Beispiel: nach Monaten ist das Projekt Küche nach nur 2 Wochenenden abgeschlossen. Schade eigentlich, dass nach nur einem Tag die neue Küche bereits nix neues mehr war.

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In der jetzigen dritten Phase ist zum einen klar, dass diese mich noch eine lange Zeit, viel länger als gedacht, begleiten wird, dennoch hält sich die Panik in Grenzen, aber der Aktionismus ist eine ungeheuren Trägheit gewichen.

Konnte ich mich zuvor kaum entscheiden, ob ich zuerst schreiben, lesen, bewegen, fotografieren oder die Wohnung umstellen sollte, fällt mir derzeit die Motivation schwer. Ich fühle mich nicht wirklich schlecht dabei, aber auch nicht wirklich gut.

Langweile macht kreativ

Neulich habe ich einen Bericht darüber gesehen, dass die meisten Menschen heutzutage verlernt haben sich zu langweilen. Offenbar setzt bewusstes Nichtstun Prozesse im Gehirn in Gang, die recht einmalig sind. Einmalig deshalb, weil verschiedene Zentren des Gehirns plötzlich gemeinsam aktiv sind, die gewöhnlich nicht miteinander interagieren und jeweils nur in bestimmten Situationen aufblitzen.

Genau das muss es wohl sein, was die Italiener unter ‚dolce far niente‘, süßes Nichtstun, verstehen. Vielleicht kein Wunder also, dass sie höchst kreativ, entspannt (vielleicht ein bisschen zu sehr) und schöngeistig sind. Mit der Fähigkeit einfach mal nichts zu tun, sich treiben zu lassen, zu genießen, haben die Italiener, oder vielmehr alle Menschen, die das beherrschen, mir einiges voraus.

Ich erinnere mich gerade an einen der ersten Urlaub, dich ich mit meinem Mann gemacht habe. Wir sind in die zauberhafte Provence, in das Häuschen meines schmerzlich vermissten besten Freundes gefahren. Ein Ort, irgendwo im Nirgendwo. Einsam, ländlich, zauberhaft und still. Ständig habe ich ihn gefragt, was er unternehmen möchte, weil ich nicht fassen konnte, dass er fast den ganzen Tag im Liegestuhl lag und die Sonne beim Musikhören genossen hat. Währenddessen habe ich Sport gemacht, gelesen, geschrieben, eingekauft und mir Gedanken darüber gemacht, ob er sich nicht schrecklich langweilt. Tja. ganz offensichtlich habe ich meinen Meister gefunden, obwohl Saint-Saturnin-lès-Apt der Ort ist, an dem ich am nächsten herangekommen bin, an ‚dolce far niente‘.

Roussillon

Und statt mich weiter mit der Kontemplation zu beschäftigen, schreibe ich und habe begonnen Trainings auf LinkedIn zu nehmen.

Aktionismus nervt

Verändert habe ich mich im Homeoffice aber durchaus. Es ist bemerkenswert bemüht, was meine Firma an virtuellen Aktivitäten zusammengestellt hat. Es fühlt sich langsam an, als würde ich den ganzen Tag virtuell Kaffee trinken, Sport machen, Kochen, Meditieren und was weiß ich noch. Mal ganz ehrlich….man kann es in Kurzarbeit auch übertreiben. Sind wir wirklich ein Haufen Unmündiger, die pausenloses Entertainment brauchen, um nicht in Tristesse zu versinken? Mich nervt es zunehmend.

Wäre die bewusste Förderung des ‚dolce far niente‘ nicht vielleicht genau das, wovon wir verknöcherten, durchgeplanten Deutschen am meisten profitieren könnten? Aber wie könnte man die Kunst des Nichtstuns anleiten? Ein Widerspruch in sich möchte ich meinen. Aber ich nehme gerne Tipps entgegen.

Damit lasse ich Euch jetzt einfach mal zurück und übe weiter….

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…gelogen…gehe jetzt auf meinen Stepper, damit die Trägheit nicht auf meinen ganzen Körper übergeht…

Bleibt gesund. Körperlich und mental! Und macht Euch das Homeoffice hübsch…

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6 replies on “Homeoffice und dolce far niente

  1. Hallo Nicole, das hast Du aus Deiner sehr persönlichen Sicht sehr ehrlich geschrieben. Mag ich, was Du zu sagen hast. Ich brauche auch kein Entertainment, für mich ist es gut wie es gerade ist, ich genieße es, nirgends hin zu müssen, die täglichen Spaziergänge mit meinem Mann, obwohl wir den ganzen Tag im Büro schon aufeinander hocken, etwas weniger arbeiten (das Thema Geld und Wirtschaft lass ich mal außen vor, das ist bitter). Meine Töchter vermisse ich sehr, aber der erste Besuch nach zwei Monaten ist geplant. Ich kann mich wahnsinnig schnell und gut auf blöde Situationen anpassen, ob das letztendlich gut ist, weiß ich nicht.
    Gestern bin ich mal ausgebrochen, mit meiner Schwester in die Stadt, wir haben Champagner to go getrunken, eine neue Erfahrung, aber ich kann mich dran gewöhnen.
    Hab ein schönes langes Wochenende
    Liebe Grüße aus Nürnberg
    Sigrid

  2. Süßes Nichtstun… fällt mir auch schwer. Anstatt dass man sich mal hingibt der Motivationslosigkeit um dann am nächsten Tag wieder mit frischer Energie zu starten, befindet man sich all zu oft in einem Zustand von unproduktiver Alibi-Produktivität, die nichts als ein schlechtes Gewissen bringt. Ich habe jetzt auch versucht das zu ändern und bewusst Zeiten zum Nichtstun einzuführen 🙂
    Interessanter Beitrag. Weiter so 🙂
    Liebe Grüße
    Dorie von http://www.thedorie.com

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